Liebe Leserinnen und Leser
Ein Beispiel bilden die Bestrebungen im Bund und in zahlreichen Kantonen zur Übertragung der Justizverwaltung auf die Justiz. In Zeiten leerer Staatskassen führt der den Gerichten auferlegte Spardruck zur öffentlichen Diskussion über die Rolle und Funktion der Dritten Gewalt. Medien berichten nicht mehr nur über Verfahren und Entscheide (wenn sich das Interesse auch auf spektakuläre, die Öffentlichkeit bewegende Verfahren zu beschränken scheint), sondern zunehmend auch über die Justiz selber. Kurz: Die Justiz wird öffentlich. Vor diesem Hintergrund erstaunt wenig, dass die Tagung der Stiftung für die Weiterbildung der Richterinnen und Richter dem Thema «Justiz und Öffentlichkeit» gewidmet war, und sich die Berner Richterinnen und Richter an einer Weiterbildungsveranstaltung ihres Obergerichts vom Medienrechtsspezialisten Franz Zeller zur Frage «Medien und Hauptverhandlung» unterrichten liessen. Tagungsbericht und Referat finden sich neben zahlreichen anderen lesenswerten Beiträgen in der vorliegenden Ausgabe der Richterzeitung.
Die Justiz agiert – nicht zuletzt im Interesse der richterlichen Unabhängigkeit – nicht im verantwortungsfreien Raum. Dass sie mitunter auch unsachlichen und wenig fundierten Angriffen ausgesetzt ist, gehört zu den Spielregeln des demokratischen Rechtsstaates. Zu den Evergreens der Justizkritik gehören Klagen über zu milde (wahlweise zu strenge) Urteile im Bereich des Strassenverkehrs und des Betäubungsmittelrechts; als für Angriffe besonders geeignet hat sich das Ausländerrecht erwiesen. Aber auch hier gab es bislang eine Schamgrenze, die von der Politik weitgehend beachtet wurde. Diese Grenze scheint sich seit dem Amtsantritt von Bundesrat Christoph Blocher aufzulösen. Jüngstes Zeugnis sind die nachweislich falschen Äusserungen des Justizministers im Zusammenhang mit einem von der Asylrechtskommission und vom Bundesgericht behandelten Asylrechtsfall. Solche Entwicklungen der Politisierung der Justiz darzustellen und zu begleiten, sehen wir als unsere Aufgabe an. In der vorliegenden Ausgabe publizieren wir (in der neuen Rubrik «Nachlese») verschiedene Presseartikel, welche die aktuelle Kontroverse darstellen, aber auch den einschlägigen Bundesgerichtsentscheid.
Das Redaktionsteam: Anne Colliard, Stephan Gass, Regina Kiener, Hansjakob Mosimann, Thomas Stadelmann, Pierre Zappelli