Liebe Leserinnen und Leser,

Wir nähern uns langsam dem Ende dieses Schaltjahres und freuen uns, Ihnen eine neue Ausgabe der Richterzeitung präsentieren zu können.

Valentine Tschümperlin befasst sich in ihrem Beitrag mit der Verwendung einer «inklusiven Sprache» durch die Schweizer Justizbehörden, insbesondere in den französischsprachigen Urteilen der Bundesgerichte. Sie kritisiert diese Sprache und liefert Verbesserungsvorschläge. 

Jonas Achermann analysiert das hochaktuelle Thema des Einsatzes von künstlicher Intelligenz durch Richter und Gerichte mit dem Ziel, ähnliche und damit gerechtere Urteile zu fällen.

Élise Gogniat untersucht die Verfahren bei Streitigkeiten im Zusammenhang mit Lebensversicherungsverträgen. Dabei unterscheidet sie zwischen kapitalgedeckten (Säule 3A) und nicht kapitalgedeckten (Säule 3B) Vorsorgeeinrichtungen. Die Autorin analysiert die Verfahrensunterschiede, die häufigen Streitpunkte und die zuständigen Gerichte je nach Art der Vorsorgeeinrichtung, wobei sie die spezifischen Merkmale der einzelnen Säulen und die Besonderheiten der kantonalen Versicherungseinrichtungen hervorhebt und Vorschläge zur Vermeidung von Verfahrensfehlern macht.

Jean A. Mirimanoff befasst sich mit dem immer aktuelleren und wichtigeren Thema der gütlichen Konfliktbeilegung aus der Sicht des Richters, der noch bevor er die Parteien zur Teilnahme an einem Mediations- (oder Schlichtungs-) Verfahren überreden kann, mit dessen Merkmalen vertraut sein muss, um sie bestmöglich zu einer angemessenen Lösung zu führen. Der Beitrag von André Jomini im Rahmen der SVR-Kolumne ist ebenfalls der Mediation gewidmet. Er geht auf die Kosten dieser alternativen Methode der Streitbeilegung ein, die häufig ein Hindernis für ihre Anwendung darstellen. Er begrüsst daher die Initiative einiger Kantone (Freiburg, Genf und seit kurzem auch die Waadt), die in ihren Gesetzen die Übernahme der Mediationskosten durch den Staat unter bestimmten Umständen vorsehen.

Der ehemalige Bundesrichter Niccolò Raselli lädt uns ein, über die Reform des Bundesgerichtsgesetzes nachzudenken. Er skizziert, was sich im letzten Vierteljahrhundert zwischen Bundesrat und Parlament abgespielt hat, mit der bitteren Erkenntnis, dass die damals gesteckten Ziele wie der Ausbau des Rechtsschutzes und die Verschlankung des Gerichts noch nicht erreicht wurden. Er macht einige Vorschläge, um endlich Abhilfe zu schaffen.  

Thomas Stadelmann fasst für uns in einer kritischen Analyse ein wichtiges Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 1. Dezember 2020 zusammen, an dem Island als Partei beteiligt ist und in dem das Konzept des Rechts auf ein «ordentliches Gericht» nach Artikel 6 EMRK weiterentwickelt wird. Er zeigt insbesondere auf, welche Konsequenzen sich aus den Unzulänglichkeiten im Verfahren zur Ernennung der Richter ergeben könnten.

Jeremias Fellmann informiert uns wie gewohnt über fünf aktuelle Urteile des Bundesgerichts zur Verfassungsgarantie des unabhängigen und unparteiischen Richters im Sinne von Artikel 30 Absatz 1 der Schweizerischen Bundesverfassung. Von besonderem Interesse ist sein Kommentar zum Urteil des Bundesgerichts vom 31. Mai 2024, das in Gutheissung der Beschwerde den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden aufhob, weil, kurz gesagt, der Berichterstatter, nachdem das Urteil bereits von den drei Richtern des Spruchkörpers gefällt worden war, Änderungen vornahm, ohne sie den beiden anderen Mitgliedern des Gerichts vorzulegen. Damit verstiess er gegen Artikel 30 Absatz 1 der Bundesverfassung.

Nora Lichti Aschwanden informiert uns über die Frühjahrstagung der Europäischen Richtervereinigung (EAJ), die vom 25. bis 27. April 2024 in Warschau stattfand und an der 38 Delegierte aus den Mitgliedstaaten teilnahmen. Dabei sticht das Engagement der EAJ zur Unterstützung der nationalen Vereinigungen, die mit der Gefährdung der Unabhängigkeit der Justiz konfrontiert sind, besonders hervor. 

Abgerundet wird die Ausgabe der Richterzeitung wie gewohnt durch die Aktualisierung der Bibliographie zum Richterrecht, Neuigkeiten aus dem Parlament und durch einen Hinweis auf das vom Schweizerischen Institut für Judikative organisierte Webinar (vom 1. Oktober 2024), in dem das bekannte Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 9. April 2024 in der Klage der KlimaSeniorinnen gegen die Schweiz diskutiert wird.

Wir wünschen Ihnen eine gute und bereichernde Lektüre.

Arthur BrunnerStephan GassSonia GiamboniAndreas LienhardHans-Jakob MosimannAnnie Rochat PauchardThomas Stadelmann

Science
Le langage inclusif dans les jugements francophones
Valentine Tschümperlin
Valentine Tschümperlin
Alors que le sujet du langage inclusif revient régulièrement sur la table des débats politiques, la question de son utilisation par les autorités judiciaires suisses dans leurs jugements se pose. Après une présentation du langage inclusif et de ses ancrages en droit suisse, l’auteure examine la manière dont les tribunaux fédéraux suisses intègrent le langage inclusif dans leurs jugements en langue française, en fait une critique et propose quelques pistes d’amélioration.
Strafzumessung mit Hilfe künstlicher Intelligenz?
Jonas Achermann
Jonas Achermann
Die richterliche Zumessung der Strafe ist geprägt von weiten Ermessensspielräumen und ihr haftet – nicht gänzlich unberechtigt – das Etikett der Willkür an. Mit dem vorliegendem Beitrag wird dargelegt, wie die künstliche Intelligenz einen Beitrag für eine rechtsgleiche und somit gerechtere Strafzumessung leisten kann.
Litiges en lien avec les piliers 3A et 3B: procédures applicables
Élise Gogniat
Élise Gogniat
L’article qui suit traite des procédures juridiques liées aux litiges qui concernent les contrats d’assurance-vie, en distinguant la prévoyance liée (pilier 3A) de la prévoyance libre (pilier 3B). Il explore les différences de régime procédural, les objets de litiges fréquents (comme les prestations, la résiliation et la nullité du contrat), et les parties impliquées (preneur d’assurance, entreprise d’assurance et tiers). L’auteure examine les tribunaux compétents selon le type de prévoyance, soulignant les spécificités de chaque pilier ainsi que la particularité des établissements cantonaux d’assurance. Elle analyse les procédures et propose des pistes pour éviter de faire fausse route.
L’orientation des parties vers un règlement approprié de leur conflit
Jean Mirimanoff
Jean Mirimanoff
Le CPC pose les fondements d’une justice plurielle (modes amiables et imposés) et nouvelle (priorité au règlement à l’amiable). Le procès demeure incontournable lorsque ni la conciliation ni la médiation ne sont appropriées au conflit. Avant de concilier, orienter vers la médiation ou conduire le procès, la tâche du juge consiste à identifier en audience lequel des 3 modes est adéquat au cas d’espèce. Une sensibilisation à la gestion des conflits lui permettra d’acquérir la méthodologie et les techniques efficaces pour cerner en audience le mode de règlement approprié aux intérêts des parties et pour exploiter les avantages respectifs et complémentaires de la conciliation et de la médiation.
Forum
Bundesgerichtsgesetz: Verpasste Reformen und Aussichten
Niccolò Raselli
Niccolò Raselli
Wichtige Ziele der Justizreform der Jahrtausendwende – wirksame Entlastung des Gerichts und Ausbau des Rechtsschutzes – wurden verpasst. Spätere Anläufe versandeten. Resignierend präsentiert der Bundesrat in seinem Reformbericht vom 24. Januar 2024 nur gerade die Vorschläge des verworfenen Revisionsentwurfes 2018, die keine kontroversen Elemente enthalten. Nach einem Vierteljahrhundert bliebe alles beim Alten und das heute schon zu grosse Bundesgericht weiterhin mit falschen Fällen belastet und damit überlastet. Der Autor wartet mit Vorschlägen auf, die endlich Abhilfe schaffen sollen.
Das Recht auf ein «auf Gesetz beruhendes Gericht» nach Art. 6 Abs. 1 EMRK
Thomas Stadelmann
Thomas Stadelmann
Der EGMR hat in einem Urteil vom 1. Dezember 2020 die Frage behandelt, was unter dem Begriff des «auf Gesetz beruhenden Gerichts» zu verstehen ist und welche Konsequenzen Mängel im Bestellungsverfahren von Richterinnen und Richtern nach sich ziehen können. Nachfolgend werden die wesentlichsten Überlegungen des EGMR wiedergegeben.
Die bundesgerichtliche Rechtsprechung zu Art. 30 Abs. 1 BV
Jeremias Fellmann
Jeremias Fellmann
Der Beitrag zeigt die jüngste Entwicklung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 30 Abs. 1 BV auf. Eine Nachlese gab es zu früheren Urteilen über Gerichtsschreiber/-innen als Ersatzrichter/-innen sowie zur Befangenheit eines Richters, der mit einer Klimaaktivistin sympathisierte. Zu beurteilen hatte das Bundesgericht zudem die Frage, ob ein Richter selbst in den Ausstand treten muss, wenn er einen Staatsanwalt in einem vorangehenden Verfahren irrigerweise in den Ausstand versetzt hatte. Weitere Urteile betrafen die Befangenheit von Fachrichtern sowie die Frage, inwieweit der gesamte Spruchkörper eine Urteilsbegründung genehmigen muss.
Kolumne SVR
L’octroi de l’assistance judiciaire pour la médiation
André Jomini
André Jomini
Le Code de procédure civile (CPC) évoque la médiation au stade de la procédure de conciliation (art. 213 CPC) et pendant la procédure au fond (art. 214 CPC). Le législateur a prévu que le tribunal pouvait conseiller en tout temps aux parties de procéder à une médiation (art. 214 al. 1 CPC). Néanmoins, pour que ce mode alternatif de résolution des litiges soit efficace, il convient que les tribunaux puissent soutenir les parties qui choisissent cette voie. Une façon de le faire est d'assurer la prise en charge par l'Etat des frais de médiation: deux cantons romands (Genève et Vaud) ont révisé récemment leur législation à cet effet.
Associations
Frühjahrstreffen der Europäischen Richtervereinigung (EAJ) in Warschau
Nora Lichti Aschwanden
Nora Lichti Aschwanden
Zum diesjährigen Frühlingstreffen der Europäischen Richtervereinigung EAJ lud die polnische Richtervereinigung «IUSTITIA» nach Warschau. Delegierte aus 38 Mitgliedsländern nahmen daran teil.
News CH
Ankündigung SifJ Webinar vom 1. Oktober 2024 in der Reihe «Judikative im Dialog»
Juria
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Wissenschaftliche Jahrestagung der ICJ-CH
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Bundesrat klärt seine Haltung zum EGMR-Urteil über den Klimaschutz
Juria
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Der Bundesrat nimmt im Parlament Stellung zum EGMR-Urteil i.S. Klimaseniorinnen
Juria
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Ausserordentliche Sessionen des Parlaments zum zukünftigen Verhältnis des Schweiz zur EMRK
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Annahme des Bundesgesetzes über die Plattformen für die elektronische Kommunikation in der Justiz (BEKJ) durch den Ständerat
Juria
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Parlament aktuell / Parlament actualités / Notizie dal Parlamento (Update 6; 10.9.2024)
Juria
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Im Schweizer Parlament behandelte oder hängige Geschäfte, welche die Judikative betreffen / Affaires traitées ou en discussion au Parlement suisse qui concernent le pouvoir judiciaire / Procedure riguardanti il potere giudiziario trattate o pendenti presso il Parlamento svizzero
Literature
Bibliografie zum Richterrecht – Update 66
Juria
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Eine Gesamtübersicht der Bibliografie finden Sie auf: https://sifj.ch/dokumentation/bibliography/