Verantwortlichkeit und Haftung von Richterinnen und Richtern


Liebe Leserinnen und Leser

Ausgabe 2014/4 von «Justice – Justiz – Giustizia» befasst sich schwerpunktmässig mit dem Thema der Verantwortlichkeit und Haftung von Richterinnen und Richtern. Anlass zu diesem Thema eine Schwerpunkt-Ausgabe zu konzipieren gab u.a. die durch die laufende Eidgenössische Volksinitiative «Haftung für Rückfälle von Sexual- und Gewaltstraftätern» in der Schweiz ausgelöste Diskussion. Die Initiative sieht u.a. die sofortige Amtsentlassung der beim Entscheid über die Gewährung von Hafturlaub oder Entlassung aus Haft, Verwahrung oder andere Massnahmen involvierten Personen vor, sofern ein als gefährlich oder rückfallgefährdeter Täter rückfällig wird und es durch ihn zum Tod, zu einer schweren Körperverletzung oder zur Vergewaltigung eines Menschen kommt.

Der Bogen dieser Ausgabe wird allerdings weiter gespannt: Behandelt wird nicht bloss diese vorgeschlagene Kausalhaftung mit disziplinarischen bzw. personalrechtlichen Konsequenzen, sondern das Spektrum reicht von der Betrachtung der privatrechtlichen Haftung und Staatshaftung, über diejenige der strafrechtlichen Haftung und der disziplinarischen Verantwortlichkeit bis hin zur Diskussion des Wiederwahlverfahrens. Das Thema wird in wissenschaftlichen Beiträgen und in Forumsbeiträgen behandelt, welche grösstenteils den Fokus auf die Situation in der Schweiz richten. In weiteren Beiträgen wird aber auch die Situation in anderen Europäischen Ländern beleuchtet. Abgerundet wird der Schwerpunkt zu Verantwortlichkeit und Haftung von Richterinnen und Richtern durch Berichte aus den Kantonen.

Neben dem Schwerpunktthema enthält die Richterzeitung auch diesmal aktuelle Nachrichten, Personalia, Nachlesen aus der Tagespresse und Hinweise auf neue Literatur.

Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre.

Das Redaktionsteam:
Emanuela Epiney-Colombo, Stephan Gass, Regina Kiener, Hans-Jakob Mosimann, Thomas Stadelmann, Pierre Zappelli.

 

SCIENCE
Verantwortlichkeit von Richterinnen und Richtern
Regina Kiener
Regina Kiener
Als Träger staatlicher Entscheidungsmacht sind auch Richterinnen und Richter ins Verantwortlichkeitsgefüge der Verfassung eingebunden. Der Beitrag untersucht, welche Instrumente der Richterverantwortlichkeit bestehen und welches Mass an Verantwortlichkeit sich mit der richterlichen Unabhängigkeit vereinbaren lässt.
La responsabilité civile des magistrats
Julie Hirsch
Julie Hirsch
La responsabilité civile des magistrats est une notion peu connue mais bien présente dans l'actualité. Pour se déterminer sur les modifications à apporter à un système, il est nécessaire d'avoir en premier lieu connaissance du droit et de la pratique actuels sur la question. C'est pourquoi, l'article tente une analyse de la notion de responsabilité civile des magistrats en droit Suisse, dans une perspective historique, en se penchant principalement sur les règles juridiques applicables en la matière ainsi que sur les spécificités déterminées par la jurisprudence et sur le résultat de ces évolutions.
Staatshaftung für judikatives Unrecht: Rechtstatsachen
Fridolin Hunold
Fridolin Hunold
Fridolin Hunold gibt in seinem Beitrag die Ergebnisse seiner umfangreichen Rechtstatsachenforschung auf Bundesebene und in den gegensätzlichen Kantonen Zürich und Glarus wieder, die Grundlage für seine Dissertation «Staatshaftung für judikatives Unrecht» war. Die Ergebnisse zeigen einerseits, wie verbreitet und wie erfolgreich Staatshaftungsbegehren judikatives Unrecht betreffend – auch im Vergleich zu Staatshaftungsbegehren anderen Inhalts – in der Praxis sind. Andererseits wurden die Dossiers auch im Hinblick auf die einzelnen Haftungsvoraussetzungen analysiert.
La responsabilite civile des magistrats en Italie
Giacomo Oberto
Giacomo Oberto
Pour paradoxal qu’il puisse paraître, le compliment le plus flatteur adressé au pouvoir judiciaire italien est venu du pire de ses ennemis. Qualifiant les magistrats italiens d’ « incontrôlables » , l’ancien premier ministre qui a contribué plus que n’importe quel autre au dénigrement de la magistrature, a involontairement avoué que les juges et les procureurs de son pays ont su, au cours de ces années si difficiles, respecter le serment de fidélité à une Constitution qui proclame la magistrature tout à fait indépendante des autres pouvoirs de l’Etat.
Interpretazione delle norme e responsabilità del giudice fra reminiscenze storiche e prospettive future
Andrea Landi
Andrea Landi
La responsabilità del giudice per l’erronea interpretazione delle norme è stata un tema di particolare rilievo nel Diritto comune e lo è tuttora in quegli ordinamenti che vivono con quel sistema, dove il diritto vigente deve tener conto del rilevante apporto nomopoietico della dottrina. La simbiosi dialettica tra giuristi e giudici, che ivi si realizza mediante il meccanismo della communis opinio doctorum vincolante per il giudice, può costituire un momento di riflessione sugli attuali aspetti della giurisdizione negli ordinamenti a diritto codificato, soprattutto per svelare l’inconsistenza di alcune mitologie della modernità, come la statualità del diritto, il formalismo e il sillogismo giudiziali.
FORUM
Zur Bedeutung und Gewährleistung der Unabhängigkeit der Gerichte
Astrid Epiney
Astrid Epiney
Die richterliche Unabhängigkeit (Art. 191c BV) ist unabdinglicher Bestandteil des (auch) die Bundesverfassung prägenden Rechtsstaatsprinzips. Alle Verfassungsorgane sind dabei verpflichtet, diesen Grundsatz zu wahren. Daher zeugen klar abfällige oder «überzogene» Kritik an der Rechtsprechung oder das «Abstrafen» von Bundesrichtern anlässlich der Wiederwahl nicht nur von mangelndem Gespür für dieses zentrale Element des Rechtsstaates, sondern sind auch verfassungsrechtlich problematisch. Solche Relativierungen der richterlichen Unabhängigkeit bergen die Gefahr eines schleichenden (teilweisen) Unterlaufens dieses zentralen rechtsstaatlichen Grundsatzes in sich.
Bericht über die EGPA Jahreskonferenz 2014: Permanent Study Group «Justice and Court Administration»
Peter Bieri
Peter Bieri
Lorenzo De Santis
Lorenzo De Santis
Mitte September 2014 fand im Rahmen der Konferenz der European Group for Public Administration (EGPA) in Speyer zum dritten Mal das Meeting der Permanent Study Group «Justice and Court Administration» statt. Diese bietet eine interdisziplinäre Plattform zur breiten Diskussion über Justizverwaltung. Der Beitrag informiert in drei Sprachen über das Treffen der Study Group.
Resoconto della Conferenza EGPA 2014: Gruppo di lavoro permanente XVIII «Amministrazione della giustizia e dei tribunali»
Peter Bieri
Peter Bieri
Lorenzo De Santis
Lorenzo De Santis
Il Gruppo di lavoro permanente «Amministrazione della giustizia e dei tribunali» si è incontrato per la terza volta nell’ambito della Conferenza annuale del Gruppo Europeo di Amministrazione Pubblica (EGPA) a metà Settembre a Speyer. Il Gruppo di lavoro è una piattaforma interdisciplinare che promuove un ampio dibattito sull’amministrazione della giustizia. Quest’articolo presenta i lavori del Gruppo di Studio in tre lingue.
Sollen Richterinnen und Richter vermehrt zur Verantwortung gezogen werden?
Marianne Ryter
Marianne Ryter
Diese Frage hat mit der am 8. April 2014 (u.a.) von Anita Chaaban eingereichten Volksinitiative «Haftung für Rückfälle von Sexual- und Gewaltstraftätern» an Aktualität gewonnen. Gemäss dem Initiativtext haftet die zuständige Behörde, wenn ein Täter, der als gefährlich und rückfallgefährdet gilt, infolge frühzeitiger Entlassung oder während des Hafturlaubs rückfällig wird. Die Haftung soll einerseits in einer angemessenen Entschädigung oder Genugtuung bestehen, andererseits darin, dass diejenigen Personen, welche eine vorzeitige Entlassung oder einen Urlaub bewilligt haben, ihr Amt verlieren, bzw. dass ihr Arbeitsverhältnis aufgelöst wird, wenn es durch deren Fehlentscheidung zum Tod, zu einer schweren Körperverletzung oder zur Vergewaltigung eines Menschen kommt.
Les femmes juges font-elles une différence?
Louise Mailhot
Louise Mailhot
Plus de 50 ans après la nomination de la première juge à une cour supérieure d’instance au Canada et plus de 30 ans après qu’une femme ait accédé à la Cour suprême du Canada – la plus haute instance d’appel composée de neuf juges –, l’auteure trace un portrait historique et condensé de l’impact de l’apparition des femmes dans le domaine de l’adjudication judiciaire au Canada.
Internationale Standards zur Verantwortlichkeit und Haftung von Richterinnen und Richtern
Redaktion Richterzeitung
Redaktion Richterzeitung
Die Frage der Haftung und der Verantwortlichkeit von Richterinnen und Richtern wird in vielen Internationalen Standards angesprochen. Nachfolgend werden die wichtigsten Regelungen und Empfehlungen publiziert.
Liability of judges
Janja Roblek
Janja Roblek
Judges from 12 countries responded to a questionnaire of IAJ on Liability of judges. This general report gives an overview of all contributors and therefore represents a fairly comprehensive assessment of the regulatory framework regarding liability of judges. It is focused on generally mentioned points as well as some examples.
Überblick über das Verantwortlichkeitsrecht des Kantons Solothurn
Pascal Haussener
Pascal Haussener
Sabina Gottesman
Sabina Gottesman
Die Haftung einer Richterin oder eines Richters im Kanton Solothurn: Zentral ist, dass ein Geschädigter einen Beamten nicht unmittelbar belangen kann. Was es sonst noch Wissenswertes über die Verantwortlichkeit eines Beamten im Kanton Solothurn gibt, fasst Sabina Gottesman, Gerichtsschreiberin am Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn, im Folgenden zusammen.
Le Tribunal neutre dans l'organisation judiciaire vaudoise
Claude-Emmanuel Dubey
Claude-Emmanuel Dubey
Le canton de Vaud est doté d’un Tribunal neutre. Cette institution judiciaire n’a, à notre connaissance, pas d’équivalent en Suisse. Malgré une dénomination (tautologique) surprenante, qui attise d’emblée la curiosité du juriste, le Tribunal neutre a gagné le respect des justiciables non seulement parce qu’il est une institution séculaire, mais aussi parce qu’il facilite le fonctionnement de la justice dans le canton de Vaud lorsqu’elle est confrontée à des cas extrêmes, notamment les récusations du Tribunal cantonal et les procédures dirigées contre les magistrats supérieurs que sont les Conseillers d’Etat, les Juges cantonaux ou le Procureur général. C’est peut-être à cause des tâches délicates qui lui sont dévolues que le Tribunal a été qualifié de neutre par le législateur de l’époque.
Verantwortlichkeit und Haftung von Richtern im Kanton Schaffhausen
Nicole Hebden
Nicole Hebden
Die Grundlagen, um Richterinnen und Richter gegebenenfalls zur Verantwortung zu ziehen, sind im Kanton Schaffhausen relativ vielfältig ausgestaltet. Doch deren Relevanz blieb in der Praxis bislang gering.
Verantwortlichkeiten von Richterpersonen – Kanton Appenzell I.Rh.
Irene Kobler-Bryner
Irene Kobler-Bryner
Im Kanton Appenzell I.Rh. ist die Verantwortlichkeit von Richterpersonen in der Behördenverordnung vom 15. Juni 1998 (GS 170.010) gesetzlich geregelt, welche nach deren Art. 1 Abs. 2 auch auf Mitglieder der Gerichte anwendbar ist.
Zur Verantwortlichkeit der Richterinnen und Richter im Kanton Obwalden
Andreas Jenny
Andreas Jenny
Im Kanton Obwalden gibt es kein Disziplinarrecht für Richterinnen und Richter. Möglich sind aber aufsichtsrechtliche Massnahmen. Die Strafverfolgung von Mitgliedern der Gerichtsbehörden hängt nicht von einer Ermächtigung ab. Der Kanton haftet für richterliches Fehlverhalten gemäss den Regeln der Staatshaftung.
Wahl und Wiederwahl von Richterinnen und Richtern im Kanton Luzern
Thomas Stadelmann
Thomas Stadelmann
Im Kanton Luzern sind die Gesetzgebungsarbeiten zu einer «Gesamtrevision der Geschäftsordnung des Kantonsrates etc.» im Gange, welche u.a. Änderungen im Hinblick auf die Wahl von Richterinnen und Richtern sowie deren Wiederwahl vorsehen. Nachdem in der letzten Ausgabe von «Justice - Justiz - Giustizia» (2014/3) die diesbezügliche Vernehmlassungsvorlage kritisch beleuchtet wurde, ist nun zu berichten, dass inzwischen die Botschaft des Regierungsrates an den Kantonsrat vorliegt.
KOLUMNE SVR
Chancen des kollegialen Austauschs
Nora Lichti Aschwanden
Nora Lichti Aschwanden
Der kollegiale Austausch zwischen Richterinnen und Richtern bleibt auch bei zunehmender einzelrichterlicher Kompetenz ein Bedürfnis. Neue Formen des Feedbacks, «kollegiale Rückmeldung», Intervision oder «Göttisystem» könnten an die Stelle des Austausches im Kollegialgericht treten.
LITERATURE
Rezension: Aerschmann, Der ideale Richter
Hans-Jakob Mosimann
Hans-Jakob Mosimann
Wie stellt sich die interessierte Öffentlichkeit den idealen Richter (heute auch die ideale Richterin) vor? Wie sollen Politik und Justiz zu einander stehen, wie die richterliche Tätigkeit vonstattengehen, und welche persönlichen Eigenschaften werden erwartet? Auf diese Fragen gibt der Autor, gestützt auf systematisch ausgewertetes und reichhaltiges Material, interessante Antworten.
Recension : Julie Joly-Hurard, La déontologie du magistrat, 3e édition, Editions Dalloz, Paris 2014
Gregor T. Chatton
Gregor T. Chatton
De façon à la fois détaillée et critique, Gregor T. Chatton présente la 3e édition de l'ouvrage de la magistrate française Julie Joly-Hurard consacré à la déontologie du magistrat, tout en créant certaines passerelles entre les régimes applicables en France et en Suisse.
Rezension: Hans-Jakob Mosimann: Entscheidbegründung – Begründung und Redaktion von Gerichtsurteilen und Verfügungen
Gerold Steinmann
Gerold Steinmann
Die Zusammenfassung der nachfolgenden Rezension sei vorweggenommen: Die «Entscheidbegründung» von Hans-Jakob Mosimann ist eine äusserst gelungene Schrift, verdient Beachtung und kann allen – auch erfahrenen – Praktikern zur Lektüre empfohlen werden.
Bibliografie zum Richterrecht – Update 31
Juria
Juria
Das 31. Update der Bibliografie enthält die seit der Ausgabe 2006/3 von «Justice - Justiz - Giustizia» veröffentlichten Monographien und Aufsätze im Themenbereich der Richterzeitung.
REPRINT
Zurück zur Amtsenthebung?
Freddy Trütsch
Freddy Trütsch
Nach dem Krach um einen Kantonsrichter wird über die Wiedereinführung eines Absetzungsverfahrens in Zug gestritten. Die Meinungen gehen weit auseinander.
NEWS ABROAD
Council of Europe’s evaluation report on European judicial systems: the judiciary is unaffected by the crisis
Juria
Juria
In a report published on the 9th of October 2014, the Council of Europe’s European Commission for the Efficiency of Justice (CEPEJ) draws on quantitative and qualitative data to outline the main trends observed in 46 European countries (*).
7. Konferenz der International Association for Court Administration (IACA) in Sydney
Andreas Lienhard
Andreas Lienhard
Vom 24. bis 26. September 2014 fand die Konferenz der International Association for Court Administration (IACA) in Sydney, Australien, statt. Es nahmen rund 250 Vertreterinnen und Vertreter aus Justiz, Verwaltung und Wissenschaft teil und es waren rund 40 Länder präsent.