Liebe Leserinnen und Leser

Der Bogen der wissenschaftlichen Beiträge in der aktuellen Ausgabe ist weit gespannt: Zwei Beiträge befassen sich mit klassischen Fragen der Gerichtsorganisation. Die Selbstverwaltung der Gerichte, vor noch nicht allzu langer Zeit ein Novum, gehört mittlerweile schon fast zu den Standards moderner Justizverfassungen. Mittlerweile hat auch der Kanton Basel-Stadt eine entsprechende Verfassungsbestimmung erlassen, deren Tragweite im Beitrag von Andreas Lienhard und Daniel Kettiger ausgeleuchtet wird. Manuel Borla widmet sich dem immer aktuellen Thema der Richterwahlen, dies aus der besonderen Perspektive des Kantons Tessin.

Eine andere Perspektive – jene der Richterethik – nimmt ein weiterer Beitrag in italienischer Sprache ein. Mit «L’etica del giudice» antwortet Matteo Pedrotti auf den Beitrag von Marco Borghi, L’éthique des juges (par un «regard extérieur»), der in der Ausgabe von 2013/1 erschienen ist und ergänzt ihn aus der Optik des Richters, also mit einem «regard intérieur». Dem Richterhandwerk verpflichtet ist auch der Aufsatz von Joëlle Vuille, die für eine Neudefinition des Begriffs der freien Beweiswürdigung von wissenschaftlichen Gutachten plädiert; ihr Beitrag dürfte vor allem in der Strafjustiz auf grosses Interesse stossen.

Die Informationstechnologien haben schon lange in der Justiz Einzug gehalten. Neu ist die Diskussion um E-Justice und deren Auswirkungen auf die richterliche Unabhängigkeit, ein Spannungsfeld, dem der zukunftsgerichtete Beitrag von Christoph Spindler gewidmet ist. Den Blick zurück in die Vergangenheit wirft der rechtshistorische Beitrag von Lukas Gschwend, der die spannende Entwicklung der richterlichen Unabhängigkeit in der Schweiz vom Ancien Régime bis in die Gegenwart aufzeigt.

Auch die Beiträge im «Forum» laden zur Lektüre ein: Brigitte Hürlimann lotet anhand zweier Fälle aus dem Kanton Zürich die Grenzen des Laienrichtertums aus, während Susanne Leuzinger eine Auslegeordnung zu den vielfältigen Impulsen des Bundesgerichts an die Gesetzgebung vornimmt. Last but not least findet sich im Forum eine eloquente Würdigung des langjährigen Bundesgerichtskorrespondenten der NZZ Markus Felber (fel.), verfasst von Dominique Strebel.

Die aktuelle Ausgabe wird abgerundet durch die Kolumne aus dem Vorstand der SVR-ASM (erstmals in italienischer Sprache), durch Neuigkeiten aus der Schweizerischen und der Europäischen Richtervereinigung, Nachlesen zu justizrelevanten Themen und entsprechenden News aus Bund und Kantonen.

Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre.

Emanuela Epiney-Colombo, Stephan Gass, Regina Kiener, Hans-Jakob Mosimann, Thomas Stadelmann, Pierre Zappelli

SCIENCE
Die Selbstverwaltung der Gerichte
Andreas Lienhard
Andreas Lienhard
Daniel Kettiger
Daniel Kettiger
§ 112 Abs. 2 der Verfassung des Kantons Basel-Stadt besagt: «Die Justizverwaltung ist Sache der Gerichte.» Der Beitrag geht der Frage nach, was alles diese Autonomie der Justizverwaltung vor dem Hintergrund der Gewaltenteilung und der richterlichen Unabhängigkeit umfasst und welches allenfalls die Auswirkungen für die Praxis sind. Neben einer «klassischen» Rechtsauslegung wird die Frage auf der Grundlage des übergeordneten Rechts reflektiert und es wird eine Rechtsvergleichung, u.a. mit den Kantonen Aargau, Bern, Graubünden, Solothurn, Zug und Zürich vorgenommen. Zudem befasst sich der Aufsatz mit organisationsspezifischen Qualitätsstandards für die Justiz. Aus diesen Abklärungen ergeben sich insbesondere wesentliche Erkenntnisse für das Budgetrecht der Gerichte in der Schweiz. Letztlich wird der Autonomiebereich der Selbstverwaltung der basel-städtischen Justiz skizziert.
Pour une redéfinition du principe de libre appréciation des preuves dans le cas des expertises scientifiques
Joëlle Vuille
Joëlle Vuille
Malgré le principe de libre appréciation des preuves énoncé dans la loi, la jurisprudence a introduit au fil des ans une exception dans le domaine des expertises: le juge est lié par l’expertise, à moins qu’il ait des motifs sérieux de penser qu’elle est erronée. Nous basant sur des données empiriques récoltées récemment en Suisse, nous questionnons le bien-fondé d’appliquer de façon indifférenciée cette exception aux expertises scientifiques et aux expertises psychiatriques. Nous proposons également une liste de questions censées aider les juges à apprécier les expertises scientifiques de façon critique.
E-Justice im Verhältnis zur richterlichen Unabhängigkeit
Christoph Spindler
Christoph Spindler
Der Beirat der Europäischen Richter (CCJE) widmete sich 2011 für seine vierzehnte Stellungnahme an das Ministerkomitee des Europarates ganz dem Verhältnis der Justiz zur Informationstechnologie. Er setzte sich mit den Chancen und Risiken der Ausbreitung von Informationstechnologie auseinander und mahnte an, dass IT die richterliche Unabhängigkeit zwar stärken könne, sie aber keinesfalls beeinträchtigen dürfe. Der vorliegende Beitrag geht der Frage nach der Relation zwischen Informationstechnologie und richterlicher Unabhängigkeit nach. Er bringt diese Frage in Bezug zu Debatten um E-Government, IT-Strategien und Kompetenzen der Aufsicht in der Justiz, wie sie auch in der Schweiz in den vergangenen Jahren mehrfach aufkeimten.
Die Entwicklung der richterlichen Unabhängigkeit in der Schweiz vom Ancien Régime bis in die Gegenwart
Lukas Gschwend
Lukas Gschwend
So selbstverständlich heutigen Juristen die richterliche Unabhängigkeit als notwendige Voraussetzung rechtsstaatlicher Justiz erscheint, so war rechtshistorisch gesehen doch ein sehr langwieriger und beschwerlicher Weg zurückzulegen, um diese als Bestandteil gewaltenteiliger Herrschaftsausübung sicherzustellen. Zwar wird vom Richter seit der Antike Unabhängigkeit von den Parteien gefordert, doch gelangt erst das liberal-rechtsstaatliche Verständnis hoheitlicher Herrschaft zur Überzeugung, dass nur ein von den anderen Gewalten unabhängiges Gericht seine Aufgabe zur Sicherstellung der Rechtsanwendung vollständig wahrnehmen kann. In der Schweiz erfolgt der Durchbruch mit der Regeneration nach 1830. Erst in jüngster Vergangenheit hat die richterliche Unabhängigkeit umfassenden Niederschlag im positiven Recht der Schweiz gefunden. Bis heute bestehen gewisse normative Defizite, deren Auswirkungen indessen die Qualität der Rechtsprechung kaum beeinträchtigen.
Procedura di nomina dei magistrati e aspetti problematici, con riferimento in particolare al Cantone Ticino
Manuel Borla
Manuel Borla
Il presente articolo - svolto nel quadro dell'Accademia svizzera della Magistratura, formazione istituita dall'Associazione dei magistrati svizzeri, dalla Fondazione per la formazione permanente dei giudici svizzeri, come pure dalle Facoltà di diritto delle Università svizzere - intende presentare brevemente alcuni sistemi di elezione a livello internazionale, riferendosi in particolar modo ai paesi membri del Consiglio d'Europa, per soffermarsi quindi sulla procedura di nomina dei magistrati a livello svizzero e nello specifico sul sistema di elezione in vigore nel Cantone Ticino.
Zusammenfassung zu: «Procedura di nomina dei magistrati e aspetti problematici, con riferimento in particolare al Cantone Ticino»
Manuel Borla
Manuel Borla
FORUM
L’etica del giudice
Matteo Pedrotti
Matteo Pedrotti
Il giudice, in una società dai valori sempre più eterogenei e pluralizzati, non può limitarsi a una semplice applicazione logico deduttiva della norma, ma è chiamato al più difficile compito di concretizzarla. Nascono così numerose domande sui limiti e pericoli legati al crescente potere dei giudici e sulla necessità di animare, all’interno e/o all’esterno della magistratura, un costante confronto sui temi dell’etica giudiziaria.
L’éthique des juges (par un « regard intérieur ») – Brèves réflexions sur l’article du Prof. Borghi [paru dans Justice 2013/1]
Emanuela Epiney-Colombo
Emanuela Epiney-Colombo
Résumé en français
Hinweise des Bundesgerichts an den Gesetzgeber
Susanne Leuzinger
Susanne Leuzinger
Ausgehend von den Ausführungen von Justizministerin Sommaruga zur «Rechtsentwicklung im Wechselspiel von Gerichten und Gesetzgeber» («Justice - Justiz - Giustizia» 2012/4) gibt der Beitrag einen Überblick über die verschiedenen Formen, in denen das Bundesgericht dem Gesetzgeber Hinweise auf gesetzgeberischen Handlungsbedarf gibt, wie er in der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Tage tritt (Hinweise in Urteilen und im Geschäftsbericht). Auch die Bezugnahme auf die geltende Rechtsprechung und die Einholung von Stellungnahmen des Bundesgerichts während des Gesetzgebungsverfahrens werden aufgezeigt.
Das Laienrichtertum stösst an Grenzen
Brigitte Hürlimann
Brigitte Hürlimann
Ein aufsehenerregender Kriminalfall kann nicht am örtlich zuständigen Bezirksgericht verhandelt werden, ein anderes erstinstanzliches Gericht im Kanton Zürich bittet das Obergericht um eine zusätzliche Ersatzrichterstelle und um einen zusätzlichen Gerichtsschreiber: Ursache der Umstände ist in beiden Fällen das Laienrichtertum. Der Einsatz von Richterinnen und Richtern ohne Rechtsstudium stösst an Grenzen.
Fel. Eine Würdigung
Dominique Strebel
Dominique Strebel
Der langjährige Bundesgerichtskorrespondent Markus Felber ist der Bergler unter den Justizjournalisten. Wortkarg, ausdauernd und hartnäckig. Er kann Justitia rechtzeitig vor drohenden Gewittern warnen, weil er wie ein Bergheuer jahrzehntelang deren steile Wiesen bewirtschaftet hat, jeden Stein und jede seltene Blume kennt und auch das leiseste Lüftchen zu deuten weiss. Die grosse NZZ wollte seine Felder umnutzen. Der Bergbauer geriet in Not und liess sich frühpensionieren. Zum Glück arbeitet er auf anderen Wiesen weiter – zum Beispiel bei Jusletter.
KOLUMNE SVR
A proposito di stato di diritto e democrazia
Roy Garré
Roy Garré
Il tema del rapporto fra stato di diritto e democrazia è molto dibattuto negli ultimi tempi. Sul fatto che la Svizzera sia e debba restare una democrazia costituzionale, basata quindi sullo stato di diritto, non dovrebbero comunque esserci esitazioni. La democrazia svizzera è costituzionale perché riconosce la necessità di autolimitarsi, fissando paletti ben precisi fra cui i più importanti sono certamente i diritti fondamentali dell'individuo. Tali diritti rappresentano un prezioso antidoto contro il rischio di una deriva verso una pura e semplice tirannia della maggioranza, la quale non avrebbe nulla a che vedere con la tradizione repubblicana del nostro Paese. Il compito di rispettare questi diritti nella fase legislativa spetta solo (ma comunque) alla politica (parlamento, governo, cittadini); a corollario di ciò i tribunali sono invece investiti del non meno importante compito di assicurarne il rispetto in ogni caso concreto che sono chiamati a giudicare, secondo le forme procedurali di cui lo Stato democratico si è dotato.
ASSOCIATIONS
8. Tag der Richterinnen und Richter am Freitag, 8. November 2013, in Luzern
Der diesjährige Tag der Richterinnen und Richter wartet mit einem abwechslungsreichen Potpourri auf, das für jeden Geschmack etwas bereithält.
Delegiertenversammlung der Europäischen Richtervereinigung
Stephan Gass
Stephan Gass
Die Europäische Richtervereinigung (European Association of Judges, EAJ) führte ihre Frühjahrstagung zum zweiten Mal, nach 2001 in Lausanne, in der Schweiz durch. Delegierte aus 35 Mitgliedsländern trafen sich in St. Gallen in den Räumlichkeiten des neuen Bundesverwaltungsgerichts.
LITERATURE
Review: SPECIALIZING THE COURTS by Lawrence Baum
Richard A. Brisbin
Richard A. Brisbin
Bibliografie zum Richterrecht – Update 26
Juria
Juria
REPRINT
Zwiespältige Richter-Wiederwahlen
Brigitte Hürlimann
Brigitte Hürlimann
Wie die Gerichte arbeiten und wer die Richter sind, das weiss in der breiten Bevölkerung kaum jemand: Das sei schade, findet der Präsident des Zürcher Obergerichts, Rolf Naef – und staunt über das Desinteresse an den jüngst erfolgten Richterwahlen.
NEWS CH
GPK-Bericht zur Umsetzung der Schweizerischen Strafprozessordnung
Dieter Freiburghaus
Dieter Freiburghaus
Die Geschäftsprüfungskommission des Landrats (Parlament im Kanton BL) hat am 6. Juni 2013 einen Bericht zur Umsetzung der Schweizerischen Strafprozessordnung verabschiedet, der sich insbesondere auch mit den Schnittstellen der neuen Organisation zwischen Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichten befasst. Auslöser für den Bericht waren nicht zuletzt kritische Medienberichte über Unstimmigkeiten zwischen den verschiedenen Justizorganen. Das dem Bericht zugrunde liegende Verständnis der parlamentarischen Oberaufsicht über die Judikative erweckt dabei teilweise Bedenken.
Ersatzrichter künftig als Anwälte vor Verwaltungsgericht ausgeschlossen
Pascal Schmid
Pascal Schmid
Das Bundesgericht hat diesen Frühling entschieden, es verstosse nicht gegen verfassungs- und konventionsrechtliche Erfordernisse, wenn ein nebenberuflich tätiger Richter als Anwalt vor «seinem» Gericht auftrete; folglich liege in einem solchen Fall auch keine Befangenheit der übrigen Richter des entsprechenden Gerichts vor. Dennoch wäre es nach Auffassung des Bundesgerichts aber zu begrüssen, wenn ein Richter vor dem eigenen Gericht nicht als Parteivertreter auftreten würde. Das betroffene Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau hat daraufhin beschlossen, seine Ersatzrichter inskünftig nicht mehr als Anwälte vor dem eigenen Gericht auftreten zu lassen. Der Anwaltsverband des Kantons Thurgau begrüsst diese Neuerung, hält aber fest, sie gehe zu wenig weit.
Tribunal pénal fédéral : seize juges ordinaires et trois suppléants au maximum
Juria
Juria
Le Tribunal pénal fédéral (TPF) devrait compter au maximum seize juges ordinaires plus trois suppléants. Le Conseil des Etats a adopté sans opposition une ordonnance élaborée par sa commission des affaires juridiques. Le National doit encore se prononcer.
Keine neuen Richterstellen für das Bundesverwaltungsgericht
Juria
Juria
Das Bundesverwaltungsgericht erhält keine zusätzlichen Richterstellen. Der Nationalrat lehnte eine Aufstockung um drei Stellen auf 68 Stellen am 3. Juni 2013 ohne Gegenstimme ab. Er schwenkte damit auf die Linie des Ständerats ein.
Fribourg : Le déménagement du Tribunal cantonal symbolise l’achèvement de son unification
Frédéric Oberson
Frédéric Oberson
La Constitution du canton de Fribourg, du 16 mai 2004, a imposé la réunion du Tribunal cantonal en une seule entité, englobant les sections civile, pénale et administrative. Le Tribunal cantonal unifié a démarré ses activités le 1er janvier 2008. Il a désormais un toit: dès le 2 septembre, les Juges cantonaux et tout le personnel du Tribunal cantonal, soit une soixantaine de personnes, prendront leurs fonctions dans le bâtiment des Augustins, dans le quartier de l’Auge à Fribourg. Pour marquer l’événement, les Fribourgeoises et les Fribourgeois ont été invités à une journée portes ouvertes le 24 août.
Freiburg: Der Umzug des Kantonsgerichts ist das Sinnbild einer gelungenen Zusammenführung
Frédéric Oberson
Frédéric Oberson
JUDICATURE
Schwyzer Justizaffäre: Bundesgericht gewährt Einblick in umstrittenen Vergleich
Juria
Juria
Das Bundesgericht gewährt den Beschwerdeführern in der Schwyzer Justizaffäre Einblick in den umstrittenen Vergleich zwischen dem Regierungsrat und Martin Ziegler. Über die Beschwerde selber haben die Richter in Lausanne noch nicht entschieden.
Editorial
Editorial der Ausgabe 2013/3
Emanuela Epiney-Colombo
Emanuela Epiney-Colombo
Stephan Gass
Stephan Gass
Regina Kiener
Regina Kiener
Hans-Jakob Mosimann
Hans-Jakob Mosimann
Thomas Stadelmann
Thomas Stadelmann
Pierre Zappelli
Pierre Zappelli
Editorial de l’édition 2013/3
Emanuela Epiney-Colombo
Emanuela Epiney-Colombo
Stephan Gass
Stephan Gass
Regina Kiener
Regina Kiener
Hans-Jakob Mosimann
Hans-Jakob Mosimann
Thomas Stadelmann
Thomas Stadelmann
Pierre Zappelli
Pierre Zappelli