Liebe Leserinnen und Leser

Richterinnen und Richter sind mit vielfältigen Ansprüchen konfrontiert. Aus der breiten Palette von Aufgaben und Erwartungen unterschiedlichster Art behandelt die vorliegende Ausgabe von «Justice – Justiz – Giustizia» insbesondere die folgenden:

René Bacher, langjähriger Obergerichtspräsident und später Fichendelegierter des Bundes, reflektiert ein Berufsleben im Dienste der Rechtspflege und des Rechtsstaates. Seines Erachtens ist eine der Hauptaufgaben der Richterin und des Richters immer noch die, Urteile so verständlich zu formulieren, dass durchschnittlich intelligente Laien sie verstehen können. Gerade im Lichte der heute vermehrt geübten Kritik sollten Richterinnen und Richter ferner die Ordnungsfunktion der Justiz selbstbewusst vertreten. Schliesslich plädiert Bacher für eine positive Denkweise gegenüber den am Verfahren Beteiligten als Voraussetzung für einen guten Richter: «Der gute Richter kennt die eigenen Schwächen und ist deshalb auch bereit, Schwächen der anderen wohlwollend zu betrachten und richtig einzuordnen.»

Um Ansprüche aus einer ganz anderen Perspektive geht es im Beitrag von Professor Andreas Lienhard der Universität Bern zum Thema «Oberaufsicht und Justizmanagement». Gerichte sind heute mit Effizienzerwartungen konfrontiert, welche die Aufsichtsorgane (Parlament, Justizrat) an sie herantragen. Dies hat sich vielerorts in Ansätzen zu einem Justizmanagement niedergeschlagen, welche Lienhard systematisch darstellt und – besonders hilfreich – anhand von Beispielen illustriert.

Andrea Müller Merky, Gerichtspräsidentin in Bern, geht es um die Frage, wie die Richterin den Zusammenprall unterschiedlicher Wertsysteme meistert. Dies ausgehend vom konkret zu entscheidenden Fall eines Mannes, der seine Frau schlug, weil sie in der Öffentlichkeit Alkohol getrunken hatte, und der sich dabei im Recht fühlte. Sie beschreibt den «steinigen Weg der Wahrheitssuche», der jedoch nicht daran vorbeiführt, dass im Rechtsstreit die Wahrheit des Gesetzes gilt, das demokratisch legitimiert ist und das Wertesystem unserer Gesellschaft widerspiegelt.

Die hier punktuell gezeigten Ansprüche und manche mehr im gerichtlichen Alltag immer einzulösen, dürfte schwierig bis unmöglich sein. Umso nötiger ist es, sich ihrer zumindest bewusst zu sein, um dementsprechend die eigenen subjektiven Akzente setzen zu können. Dazu mögen die genannten Beiträge anregen.

Wir wünschen Ihnen viel Vergnügen beim Lesen.

Anne Colliard, Stephan Gass, Regina Kiener, Hans-Jakob Mosimann, Thomas Stadelmann, Pierre Zappelli 

EDITORIAL
Editorial der Ausgabe 2009/1
Redaktionsteam / Equipe de rédaction / Redazione
Redaktionsteam / Equipe de rédaction / Redazione
Editorial de l'édition 2009/1
Redaktionsteam / Equipe de rédaction / Redazione
Redaktionsteam / Equipe de rédaction / Redazione
SCIENCE
Oberaufsicht und Justizmanagement
Andreas Lienhard
Andreas Lienhard
Gutes Justizmanagement ist ei­ne notwendige Vor­aus­setzung zur Gewährleis­tung der Recht­spre­chung. Zu­gleich ist die Ge­schäftsführung zen­traler An­knüpfungs­punkt der Oberaufsicht. Führungs­in­strumen­ten und -struktu­ren, der Ge­schäftslastbe­wirt­schaf­tung sowie an­de­ren Elemen­ten der Qualitätssi­cherung bis hin zur Zertifizierung von Gerichtsverwal­tun­gen kommt demzufolge ei­ne erhebli­che rechts­staatli­che Bedeu­tung zu.
FORUM
René Bacher: «Die Justiz ist ein Mittel, um eine gewisse Ordnung wieder herzustellen»
Dieter Freiburghaus
Dieter Freiburghaus
Stephan Gass
Stephan Gass
Im Interview mit der Richterzeitung äussert sich René Bacher (80) zu Fragen der Justiz, des Richterseins, der richterlichen Ethik in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Dr. iur. René Bacher wurde 1928 in Basel geboren und studierte Rechtswissenschaften in Basel. Nach verschiedenen Volontariaten wurde er juristischer Mitarbeiter in der Justiz- und Polizeidirektion des Kantons Basel-Landschaft. Daraufhin kam er als Gerichtsschreiber an das Verwaltungsgericht. In einer Kampfwahl wählte ihn der Landrat (Kantonsparlament) 1968 zum Präsidenten des Obergerichts Basel-Landschaft. 1992 trat er vom Richteramt zurück und wurde Sonderbeauftragter des Bundesrats für Staatsschutzakten (bis 1996). Danach führte er verschiedene Administrativuntersuchungen für den Bundesrat durch. René Bacher war auch Mitglied des Holocaust-Fonds (Geld, Banken, Wirtschaft, präsidiert von Rolf Bloch) und beteiligte sich in verschiedenen Justizreform-Projekten des EJPD, bzw. des EDA (der DEZA) in der Ukraine.
Wie viel Wahrheit erträgt ein Urteil?
Andrea Müller Merky
Andrea Müller Merky
Im nachfolgenden Beitrag beschreibt die Autorin anhand eines konkreten Falles aus dem Gerichtsalltag, dass Konflikte meistens dadurch entstehen, dass verschiedene «Wahrheiten» aufeinanderprallen. Als Richterin steht man dem Anspruch gegenüber, die Wahrheit zu finden. Welche Wahrheit? Auch die Gesetzgebung geht von einem Wahrheitsbegriff aus, der seinen Fokus auf pragmatische Lösungsfindung richtet. Wie viele Wahrheiten gibt es und wie sind diese in ein Gerichtsurteil zu integrieren? Die Autorin versuche eine Reise durch die verschiedenen Wahrheiten und den Lösungsansatz im Hinblick auf «richtige» Urteile.
JUDICATURE
Unvereinbarkeit der Funktion als Schiedsrichter mit einem laufenden Anwaltsmandat
Gerold Steinmann
Gerold Steinmann
Anspruch auf den gesetzlich vorgesehenen Richter sowie auf Besetzung des Gerichts mit unvoreingenommenem Richter bzw. Gerichtsschreiber
Gerold Steinmann
Gerold Steinmann
Anspruch auf unentgeltliche Prozessführung nach Art. 29 Abs. 3 BV
Gerold Steinmann
Gerold Steinmann
NEWS CH
Präsident des Bundesstrafgerichts tritt Ende 2009 zurück
Juria
Juria
Alex Staub legt sein Mandat als Präsident des Bundesstrafgerichtes in Bellinzona per Ende 2009 nieder. Der Zuger stand dem Gericht seit dessen Inbetriebnahme am 1. April 2004 vor. Eine Wiederwahl als Präsident wäre nicht möglich. Nebst Staub verzichtet auch die Neuenburgerin Barbara Ott auf eine Wiederwahl als Richterin.
Deux démissions au Tribunal pénal fédéral pour fin 2009
Juria
Juria
Deux membres du Tribunal pénal fédéral, le Zougois Alex Staub, actuel président de la Cour plénière, et la Neuchâteloise Barbara Ott, se retireront à fin 2009 au terme de leur période de fonction de six ans.
Affäre Tinner: GPDel kritisiert Aktenvernichtung als unverhältnismässig
Juria
Juria
Die vom Bundesrat angeordnete Aktenvernichtung im Fall Tinner war unverhältnismässig. Dies stellt die für den Geheimbereich zuständige Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) fest. Kritik übt sie am damaligen Justizminister Christoph Blocher.
Affaire Tinner : La Délégation des Commissions de gestion critique la destruction de documents
Juria
Juria
La destruction de toutes les pièces à conviction ordonnées par le Conseil fédéral dans l’affaire Tinner en novembre 2007 était « disproportionnée ». Telle est la conclusion du rapport de la délégation des commissions de gestion du Parlement publié le 22 janvier 2009.
SH: Justizgesetz statt einzelner Einführungsgesetze zum eidgenössischen Verfahrensrecht
David Werner
David Werner
Im Kanton Schaffhausen soll die Gelegenheit genutzt werden, die Organisation der Justiz und die ergänzenden Vorschriften zur schweizerischen Zivilprozessordnung, zur Strafprozessordnung und zur Jugendstrafprozessordnung in einem einzigen Gesetz zu regeln.
NEWS ABROAD
Du traitement des affaires dans un délai raisonnable
Jacques Bühler
Jacques Bühler
LITERATURE
Rezension: Einhundert Jahre österreichische Richtervereinigung
Stephan Gass
Stephan Gass
Am 23. März 2007 gedachte die österreichische Richtervereinigung mit einem Festakt in Wien der Gründung der «Vereinigung der österreichischen Richter» am 17. März 1907. Zum 100-jährigen Bestehen der Richtervereinigung wurde ein Sammelband mit Beiträgen verschiedenster Art verfasst.
Bibliografie zum Richterrecht - Update 9
Juria
Juria
«Justice - Justiz - Giustizia» publiziert eine Übersicht über neu erschienene Monografien und Artikel in Fachzeitschriften und Festschriften, welche zu Themen rund um die Judikative erschienen sind.
ASSOCIATIONS
Congrès 2008 de l'Union Internationale des Magistrats, à Erevan (Arménie)
Pierre Zappelli
Pierre Zappelli
PERSONALIA
AG: Wahl von zwei neuen Oberrichtern
Ruedi Bürgi
Ruedi Bürgi
Der Grosse Rat des Kantons Aargau hat die Wahl für die zwei von ihm bewilligten zusätzlichen vollamtlichen Richterstellen am Obergericht vorgenommen
TI: Avvicendamenti personali presso il Ministero pubblico
Emanuela Epiney-Colombo
Emanuela Epiney-Colombo
Continua il rinnovamento in seno al Ministero pubblico, dopo quattro dimissioni di procuratori pubblici nell’arco di un anno.
TI: Cambiamenti nella Commissione di esperti per l'esame delle nuove candidature
Emanuela Epiney-Colombo
Emanuela Epiney-Colombo
Nuovi membri della Commissione di esperti per l’elezione dei magistrati.