Liebe Leserinnen und Leser

Die Beiträge in dieser Ausgabe befassen sich mit der Stellung der Richterinnen und Richter, der Gerichtsorganisation, Fragen des Handwerks und auch der Vernetzung. Die Vernetzung im inhaltlichen Bereich sprechen Helen Keller, die Schweizer Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), und Cedric Marti in ihrem Beitrag über die Berücksichtigung der EGMR-Praxis durch innerstaatliche Gerichte an. Die personelle Seite behandeln sowohl Thomas Pleuler (Befangenheit und Ausstand bei kleinen Gerichten) als auch Thomas Audétat (Die Befangenheit des Richters als Vereinsmitglied). Dass Vernetzung gedanklich weiterführt, zeigen die Beiträge von Dieter Freiburghaus, Roy Garré, Stephan Gass, André Jomini, Thomas Stadelmann und Pierre Zappelli über den Kongress der Union Internationale des Magistrats im November 2014 in Brasilien, wie auch der Hinweis auf die europäische Vereinigung von Verwaltungsrichterinnen und -richtern (VERDIF) von Patrick M. Müller. Unter dem Aspekt des Handwerks zu nennen ist die Bilanz über ein Jahrzehnt der Mediation in Genf durch Jean Mirimanoff und Rezension des Buches von Rolf Gröschner zum richterlichen Tun und Können beim Subsumieren durch Stefan Pöder. Mit der mitunter prekären Stellung der Richterinnen und Richter befassen sich Davide Cerutti und Alex Dépraz in einer kritischen Analyse einer allfälligen Haftung für «Rückfälle von Sexual- und Gewaltstraftätern», Kathrin Klett mit einem Beitrag über die Empfehlung des Conseil Consultatif de Juges Européens / Consultative Council of European Judges (CCJE) – ein Konsultativorgan des Europarates, das aus je einem Richter oder einer Richterin pro Mitgliedstaat besteht – zur individuellen Leistungsbeurteilung von Richterinnen und Richtern unter Wahrung der institutionellen Unabhängigkeit, Gerold Steinmann mit einem Kommentar zu den Wahlen zum Bundesgericht, und Pierre Zappelli mit der Rezension von Louise Mailhots Studie über die Geschichte des Zugangs der Frauen zu Advokatur und Judikative. Die Gerichtsorganisation ist Thema bei Christian Winiger (Organisation des Solothurner Steuergerichts) sowie Jürgen Nagel (Reorganisation der Gerichtsbarkeit in Liechtenstein). Sie haben, liebe Leserin, lieber Leser, angesichts dieses embarras de richesse, womöglich die Qual der Wahl – dafür werden Sie aber sicher beim Lesen entschädigt.

Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre.

Das Redaktionsteam: Emanuela Epiney-Colombo, Stephan Gass, Regina Kiener, Hans-Jakob Mosimann, Thomas Stadelmann, Pierre Zappelli.

SCIENCE
Berücksichtigung der EGMR-Praxis durch innerstaatliche Gerichte
Helen Keller
Helen Keller
Cedric Marti
Cedric Marti
Neben der Rechtskraft zwischen den Parteien kommt den Urteilen des EGMR eine gegenüber allen Vertragsstaaten wirkende Autorität hinsichtlich der dem Urteil zugrundeliegenden Auslegung zu. Der Beitrag basiert auf dem Referat von Helen Keller am Tag der Richterinnen und Richter vom 28. November 2014 und befasst sich damit, wie die Berücksichtigungspflicht des Strassburger Fallrechtes umzusetzen ist, wo ihre Grenzen liegen und unter welchen Voraussetzungen dabei ein richterlicher Dialog entstehen kann, welcher der Lösungsfindung im Einzelfall dient, gleichzeitig aber auch konstituierend auf den gemeineuropäischen Menschenrechtsschutz wirken kann.
Befangenheit und Ausstand bei kleinen Gerichten: Probleme und Lösungsansätze
Thomas Pleuler
Thomas Pleuler
Dieser im Rahmen des CAS Lehrganges «Judikative» 2013/2014 verfasste Beitrag zeigt einige Problemstellungen im Zusammenhang mit Befangenheit und Ausstand sowie mögliche Lösungsansätze auf. Der Anspruch der Parteien auf ein unbefangenes Gericht ist von grosser rechtsstaatlicher Bedeutung. Für Gerichte mit einer kleinen Anzahl an Richterinnen und Richtern ergeben sich daraus immer wieder organisatorische Herausforderungen, welche mitunter eine pragmatische Vorgehensweise nötig machen.
Die Befangenheit des Richters als Vereinsmitglied
Thomas Audétat
Thomas Audétat
Diese im Rahmen des Zertifikatsstudienganges «Judikative» 2013–2014 verfasste Arbeit geht Fragen der richterlichen Unabhängigkeit in Zusammenhang mit Vereinsmitgliedschaften von Richterinnen und Richtern nach. Sie ordnet die sich stellenden Fragen in einen rechtlichen und ethischen Kontext ein und beantwortet sie anhand einzelner konkreter Sachverhalte.
Responsabilité des autorités compétentes en cas de récidive
Davide Cerutti
Davide Cerutti
Alex Dépraz
Alex Dépraz
Des signatures sont actuellement récoltées pour une initiative instituant une responsabilité objective des autorités compétentes en cas de récidive de criminels considérés comme dangereux. Ce texte, qui présente de nombreuses incohérences, s'inspire d'une notion de responsabilité étrangère à la nature même de l'activité juridictionnelle, qui implique l'idée de choix. L'indemnisation de la victime et de ses proches ainsi que la destitution prévues par les initiants sont également problématiques. En conclusion, l'adoption de ce texte menacerait l'indépendance des magistrats et donc la confiance des citoyens dans le pouvoir judiciaire.
La Médiation judiciaire en matière civile à Genève
Jean Mirimanoff
Jean Mirimanoff
Il y a eu 10 ans le 1er janvier 2015 qu’est entrée en vigueur à Genève la première loi en Suisse sur la médiation judiciaire en matière civile (MJC) approuvée à l’unanimité moins une abstention par le Grand Conseil. Il parait utile de partager cette expérience avec l’ensemble de notre pays, en en rappelant la genèse (1) et son évolution (2), sans en cacher l’échec (3), en insistant sur l’importance du rôle des juges dans le développement de la MJC (4), en faisant le pari positif de son redressement possible (5) et désirable (6), pour proposer un objectif réaliste en guise de conclusion (7).
Die Organisation des Solothurner Steuergerichts im Lichte ausgewählter verfassungsrechtlicher Grundsätze
Christian Winiger
Christian Winiger
Diese im Rahmen des Zertifikatsstudienganges «Judikative» 2013–2014 der Richterakademie verfasste Arbeit beleuchtet die Organisation des Steuergerichts des Kantons Solothurn unter dem Blickwinkel der Garantie des verfassungsmässigen Richters (Art. 30 Abs. 1 BV). Im Zentrum steht dabei das Urteil des Bundesgerichts 2C_381/2010 vom 17. November 2011, das den Solothurner Gesetzgeber zwang, die gesetzlichen Grundlagen für die Organisation des Steuergerichts anzupassen, um dem Anspruch auf ein durch Gesetz geschaffenes, zuständiges Gericht zu genügen. In diesem Zusammenhang werden die alte und die neue Gerichtsorganisation dargestellt und gewürdigt.
FORUM
Zur Leistungsbeurteilung von Richtern
Kathrin Klett
Kathrin Klett
Der Conseil Consultatif de Juges Européens/Consultative Council of European Judges (CCJE) ist ein Konsultativorgan des Europarates, das aus je einem Richter oder einer Richterin pro Mitgliedstaat besteht. Die Arbeitssprachen sind englisch und französisch. Der CCJE unterbreitet unter anderem periodisch dem Ministerkomitee Empfehlungen («avis», «opinions») zur Unabhängigkeit und Leistungsfähigkeit der Justiz. Die neueste Empfehlung Nr. 17 befasst sich mit der individuellen Leistungsbeurteilung von Richterinnen und Richtern.
KOLUMNE SVR
Der Blick über den Maschendrahtzaun
Patrick M. Müller
Patrick M. Müller
Nicht nur in der Schweiz, auch in unseren Nachbarländern übt die Politik mehr oder minder erheblichen Einfluss auf Wahlen und Tätigkeit der Richter aus. Die VERDIF, eine internationale Vereinigung von Verwaltungsrichtern, führte im Herbst 2014 eine Tagung zu dieser Thematik durch. Die länderorientierten Vorträge vermitteln einen auf die Verwaltungsrechtspflege fokussierten Einblick in den Stand der richterlichen Unabhängigkeit in unseren Nachbarländern und geben Anlass zur kritischen Würdigung unserer Verhältnisse.
ASSOCIATIONS
La Commissione etica dell’Associazione svizzera dei magistrati si presenta alla Giornata dei giudici del 28 novembre 2014
Christian Trenkel
Christian Trenkel
Nathalie Zufferey Franciolli
Nathalie Zufferey Franciolli
I giudici Christian Trenkel e Nathalie Zufferey Franciolli hanno presentato in occasione della Giornata dei giudici del 28 ottobre 2014 i lavori della Commissione etica dell’Associazione svizzera dei magistrati, istituita dall’Assemblea ASM/SVR del 2013.
Réunion 2014 de l'Union Internationale des Magistrats, à Foz de Iguaçu (Brésil)
Pierre Zappelli
Pierre Zappelli
La 57ème réunion annuelle de l'Union Internationale des Magistrats (UIM) s'est tenue au Brésil, à Foz de Iguaçu, près des célèbres chûtes du même nom, du 9 au 13 novembre 2014.
Delegiertenversammlung der Europäischen Richtervereinigung (EAJ)
Stephan Gass
Stephan Gass
Die Europäische Richtervereinigung (EAJ) führte ihre Herbsttagung, zusammen mit der Jahrestagung der Internationalen Richtervereinigung (IAJ/UIM), in Foz do Iguaçu /Brasilien durch. Delegierte aus 36 Mitgliedsländern trafen sich im Dreiländereck Brasilien, Argentinien, Paraguay, nahe der grandiosen Wasserfälle des Iguaçu-Flusses.
Les relations entre le pouvoir judiciaire et les médias
Thomas Stadelmann
Thomas Stadelmann
La première commission d’étude de l’Union Internationale des Magistrats UIM a discuté, lors de la réunion 2014, des relations entre le pouvoir judiciaire et les médias. Elle a formulé des recommandations dans le but d’améliorer les relations avec les médias. En outre, la commission a adapté une procédure pour la conduite des prochaines réunions dans le but d’améliorer l’efficacité du travail de la commission, proposée par la délégation Suisse.
Congrès annuel 2014 de l'UIM/IAJ à Foz do Iguaçu
André Jomini
André Jomini
En novembre 2014, à la 57ème réunion annuelle de l’Union Internationale des Magistrats (UIM), la deuxième commission d’étude, chargée des domaines du droit civil et de la procédure civile, a traité de questions relevant du droit environnemental. Il est vrai que dans plusieurs pays, ce sont des normes du droit civil qui sont appliquées dans les procès relatifs à la protection contre les immissions ou à la lutte contre les pollutions ; dans de nombreux ordres juridiques toutefois, le droit environnemental fait partie du droit public, et ce sont les tribunaux administratifs plutôt que les juridictions civiles qui sont compétents pour juger des litiges.
Jahreskongress 2014 der IAJ/UIM in Foz do Iguaçu
Dieter Freiburghaus
Dieter Freiburghaus
Die dritte Studienkommission der IAJ befasste sich wie bereits im Vorjahr mit der Frage, ob das Strafrecht ein gutes Instrument im Bereich des Umweltrechts darstellt. Sie gelangte dabei erneut zum Schluss, dass dem Strafrecht im Vergleich zum öffentlichen Recht nur eine untergeordnete Bedeutung zukommt.
« Protezione contro la violenza e contro le molestie morali o sessuali sul posto di lavoro »
Roy Garré
Roy Garré
Nel 2014 la Quarta commissione di studio dell'Unione internazionale dei magistrati (UIM) si è occupata del tema della protezione contro la violenza nonché le molestie morali o sessuali sul posto di lavoro. Il tema è stato scelto in occasione della riunione tenutasi a Jalta (Ucraina) nel 2013.
LITERATURE
« Les premières ! L’histoire de l’accès des femmes à la pratique du droit et à la magistrature » de Louise Mailhot, Editions Yvon Blais, Canada 2013
Pierre Zappelli
Pierre Zappelli
« Les femmes restent les grandes oubliées de l’histoire ». Dans les cours d’histoire, elles n’occupent qu’un pour cent de la trame narrative de ces manuels. C’est par cette citation d’un chercheur canadien et ce constat que débute l’ouvrage que nous présentons ici et proposons à la lecture.
Vom Tun und vom Können der Richterinnen und Richter beim Subsumieren im Rahmen der Urteilsbildung
Stefan Pöder
Stefan Pöder
Rolf Gröschner zeigt in seiner Abhandlung auf, warum das traditionelle Subsumtionsmodell des Justizsyllogismus für die – ihm von der herkömmlichen Methodenlehre zugedachte – Aufgabe ungeeignet ist, das Tun und das Können der Richterinnen und Richter beim Subsumieren im Rahmen der Urteilsbildung modellhaft darzustellen. Dieses Subsumtionsmodell ist zu ersetzen durch ein Modell der Kunst der Urteilsbildung, das der kunstgerechten Vermittlungsleistung der Richterinnen und Richter zwischen den allgemeinen Regeln des positiven Rechts, dessen Dogmatik und dem Einzelfall den ihr gebührenden Platz in der Subsumtionstheorie einräumt.
Bibliografie zum Richterrecht – Update 32
Juria
Juria
Das 32. Update der Bibliografie enthält die seit der Ausgabe 2006/3 von «Justice - Justiz - Giustizia» veröffentlichten Monographien und Aufsätze im Themenbereich der Richterzeitung.
REPRINT
Denk-würdige Wiederwahl der Bundesrichterinnen und Bundesrichter
Gerold Steinmann
Gerold Steinmann
Am 24. September 2014 fanden die Gesamterneuerungswahlen des Bundesgerichts für die Amtsperiode 2015 – 2020 statt.
Tag der Richterinnen und Richter 2014: Einstehen für den Rechtsstaat!
Alec von Graffenried
Alec von Graffenried
Grusswort des Präsidenten der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats, Alec von Graffenried (Mitglied des Vorstands von «Unser Recht»), am Schweizerischen Richtertag, 28. November 2014 in Luzern
NEWS ABROAD
Liechtensteinische (G)OG-Reform
Jürgen Nagel
Jürgen Nagel
Das liechtensteinische Gerichtsorganisationsgesetz (GOG) ist mit Wirkung per 1. Januar 2015 revidiert worden. Damit einher geht eine grundlegende Reorganisation des Obergerichts (OG). Dabei ist der bisherigen Tradition der Rekrutierung auch von Richtern aus den Nachbarländern Rechnung getragen worden. Das Fürstentum hat also weiterhin keine Angst vor fremden Richtern.
JUDICATURE
Verfassungsmässiger Richter: neuere Entscheide im Jahre 2014
Christoph Errass
Christoph Errass
Die richterliche Unabhängigkeit und Unparteilichkeit gehören zu den fundamentalen Erfordernissen jeglicher Rechtspflege im gewaltenteiligen Rechtsstaat. Auch im Jahre 2014 hat sich das Bundesgericht damit beschäftigen müssen. Im folgenden Beitrag sind aus der Menge der bundesgerichtlichen Urteile vier davon herausgegriffen, dargestellt und teilweise mit Anmerkungen versehen worden.