Liebe Leserinnen und Leser
Die vorliegende Ausgabe von «Justice - Justiz - Giustizia» umfasst eine breite Palette von Beiträgen.
Zunächst sind schriftliche Fassungen ausgesuchter Referate des letzten Richtertages wiedergegeben. Pascal Mahon und Roxane Schaller befassen sich mit dem System der Richterwiederwahlen und stellen sich die Frage, ob dies Ausdruck demokratischer Rechtsstaatlichkeit oder ein Damoklesschwert darstelle. Sie halten dafür, dem Modell des Kantons Fribourg folgend, dass Bund und Kantonen nichts abhanden käme, vielmehr viel gewonnen würde, wenn das System der Richterwiederwahlen zugunsten einer Richterernennung auf unbestimmte Dauer abgeschafft werden würde.
Marco Borghi behandelt in seinem Referat die Ethik des Richters «von aussen betrachtet». Reflexionen zur Richterethik erweisen sich mehr und mehr als ein reales Bedürfnis von Richterinnen und Richtern. Man denke nur an die unlängst erarbeitete Ethikcharta des Bundesverwaltungsgerichts. Borghi plädiert für eine fortlaufende kasuistisch ausgerichtete Diskussion richterethischer Problematiken und für eine institutionalisierte, interdisziplinär zusammengesetzte Richter- Ethikkommission. Eine Richterin etwa könnte sich dann, etwa in einer Gewissensfrage, an eine Institution wenden, die vertraulich die Sache behandelt und ebenso vertraulich Rat erteilt. Überdies könnte ein solcher Ethikrat regelmässig richterethische Fragen allgemeiner Art aufnehmen und in einem jährlichen Bericht publizieren In ähnlicher Weise funktioniert übrigens der Canadian Judicial Council. Interessant ist, dass Borghi bei der SVR-ASM quasi offene Türen eingerannt hat, ist sie doch aktuell an den Vorarbeiten für die Schaffung eines solchen Ethikrates in der Schweiz.
Christine Kaufmann schreibt über Gerichtsalltag und Reflexionen. Sie untersucht unser Verständnis der Richterfunktion und geht der Frage nach, welche Rolle Reflexion im Gerichtsalltag heute spielt, welchen Herausforderungen sich «reflektierende Richterinnen und Richter heute gegenüber sehen.»
Daniel Kettiger, Andreas Lienhard und Daniela Winkler berichten über das Justizmanagement in der Schweiz. Sie stellen die jüngsten Ergebnisse des Forschungsprojekts zum Justizmanagement in der Schweiz vor, welches die Funktionsweise der Gerichtsbarkeit in der Schweiz untersucht und daraus spezifische Managementprinzipien entwickeln möchte.
Nach Eingang der Anklageschrift und der Akten beim erstinstanzlichen Gericht hat sich dieses baldmöglichst einen ersten Überblick zu verschaffen, die Anklage zu erfassen und diese einer Vorprüfung zu unterziehen. Die Prozessvoraussetzungen sind abzuchecken und allfällige Verfahrenshindernisse zu prüfen. Dabei stellen sich viele Fragen. Philipp Näpfli legt ein Prüfungsschema vor, das für erstinstanzliche Strafgerichte eine nützliche Hilfe sein kann.
Daniel Kettiger und Gerold Steinmann kommentieren jeweils ein Urteil des Bundesgerichts. Ersterer bespricht ein Urteil, das sich mit der Gehaltseinreihung von Richterinnen und Richtern befasst. Im Urteil 8C_63/2012 vom 30. August 2012 (BGE 138 I 321) hat die I. Sozialrechtliche Abteilung des Bundesgerichts festgestellt, die Schlechterstellung der Mitglieder des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich gegenüber den Mitgliedern der anderen obersten kantonalen Gerichte sei zulässig. Der Autor geht der Frage nach, wie überzeugend die Begründung des Urteils ausgefallen ist.
Gerold Steinmann bespricht ein zur Publikation bestimmtes Urteil des Bundesgerichts (6B_814/2011 vom 30. August 2012), das eine neue Fallkonstellation der Vorbefassung aus dem Bereich des Strafprozessrechts aufführt. Das wiedergegebene Urteil räumt dem Präsidenten der Berufungsinstanz die Möglichkeit ein, sichernde Massnahmen zur effektiven Durchführung des Verfahrens zu treffen, ohne dass er allein deswegen mit einer Ablehnung rechnen muss. Von besonderem Interesse ist aber das methodische Vorgehen des Bundesgerichts, welches die Ausstandsgründe von Art. 56 StPO im Allgemeinen und die Generalklausel von Art. 56 lit. f StPO im Speziellen als Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben von Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK betrachtet.
Die Ausgabe 2012/3 der Richterzeitung beschäftigte sich mit dem Verhältnis von Selbstverwaltung – Aufsicht – Oberaufsicht in der Justiz. Dem schliesst sich nun ein Artikel des Juristen und Journalisten Dominique Strebel an. Er untersucht das Kommunikationsverhalten des Bundesgerichts, überträgt die modernen Grundsätze der Kommunikation auf die Justiz und leitet daraus Empfehlungen für die höchsten Gerichte ab.
Patrick Guidon spricht in der SVR-Kolumne «Von der gleichmässigen Verteilung von Enttäuschungen» über die verschärfte Finanzlage in den Kantonen und den Sparprogrammen, denen sich die Gerichte ausgesetzt sehen, und wie sich die Justiz in einer solchen Situation verhalten kann und soll.
Rezensionen, Nachlesen, Neuigkeiten aus dem In- und Ausland, Mitteilungen aus der internationalen Richtervereinigung runden die umfangreiche erste Ausgabe der Richterzeitung 2013 ab. Last but not least ist zu erwähnen, dass wir wiederum schriftliche Arbeiten des Zertifikatsstudiengangs «Judikative» 2011–2012 der Schweizerischen Richterakademie veröffentlichen.
Wir wünschen Ihnen eine angenehme, aber auch zum Nachdenken anregende Lektüre.