Justice - Justiz - Giustizia

Liebe Leserinnen und Leser

Das Prinzip der richterlichen Unabhängigkeit steht auch in der neusten Ausgabe der Richterzeitung im Zentrum. Ihrer Dissertation und dem darauf basierenden Beitrag zur «Aufsicht über die Justiz» stellt Mirjam E. Frey Haesler die Frage voran, ob es überhaupt einer solchen bedürfe. Die Autorin gelangt zur Erkenntnis, dass die Aufsicht mit ihren Instrumenten zu einer fairen, wirksamen und unabhängigen Justiz beitragen kann, ohne dass das Prinzip der richterlichen Unabhängigkeit dem im Weg steht.

Zwei Beiträge, die aus Abschlussarbeiten des CAS-Studiengangs Judikative 2015/2016 entstanden sind, behandeln ebenfalls die Unabhängigkeit der Justiz. Giuliano Raccioppi untersucht in «Die moderne ‹Paulette›: Mandatssteuern von Richterinnen und Richtern» die Zahlungen, welche Richterinnen und Richter an die politischen Parteien leisten – ein Unikum in Europa und weltweit. Obwohl historisch als Mittel der Parteifinanzierung anerkannt und in der Lehre nur wenig kritisiert, verletzt diese Praxis nach Ansicht des Autors das Prinzip der (äusseren) richterlichen Unabhängigkeit.

Mattia Annovazzi beschäftigt sich in seiner Arbeit «Le incompatibilità per attività dei magistrati a tempo pieno con particolare riguardo al Cantone Ticino» mit Nebenbeschäftigungen von Richterinnen und Richtern und legt ein besonderes Augenmerk auf die Vereinbarkeit dieser mit der richterlichen Unabhängigkeit.

Stephan Gass berichtet über die Arbeiten der Delegiertenversammlung der Europäischen Richtervereinigung (European Association of Judges/EAJ), die am 18. und 19. Mai 2017 in Chisinau (Moldawien) tagte. Dabei wurde ein bedeutendes Regelwerk verabschiedet: der Entwurf einer Europäischen Konvention über die richterliche Unabhängigkeit. Dieser wird nun den zuständigen Organen des Europarats vorgelegt verbunden mit der Anregung, die Konvention als Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention auszuarbeiten.

Drei weitere Abschlussarbeiten des CAS-Studiengangs Judikative 2015/2016 haben Eingang in die Richterzeitung gefunden: Isabelle Egli richtet in ihrem Beitrag «Die Vorbereitung und Planung der strafprozessualen Hauptverhandlung» die Aufmerksamkeit auf die Prüfung der Anklageschrift mit ihren unterschiedlichen Ergebnissen. Eine gute Vorbereitung trägt zu einer speditiven Abwicklung des Verfahrens bei und ermöglicht, gewisse Probleme vorwegzunehmen und Lösungen bereitzustellen. Die zentrale Rolle von Gerichtsschreibenden am Bundesverwaltungsgericht bildet Gegenstand des Beitrags von Simona Risi über «Die beratende Stimme der Gerichtsschreibenden», in dem die Autorin einen Einblick gibt in die vielfältigen Erscheinungsformen der beratenden Stimme durch Gerichtsschreibende auf verschiedenen Stufen des Verfahrens.

Sarah Luisier-Curchod befasst sich in ihrem Beitrag zum Thema «Accession des femmes à la magistrature : obstacles et solutions» mit der aktuellen Situation von Richterinnen in verschiedenen Westschweizer Kantonen und zeigt auf, welche Probleme sich stellen und wie sie gelöst werden könnten.

In der Kolumne der SVR wünscht sich André Jomini, Richter am Kantonsgericht Waadt, eine Entwicklung hin zur Mediation in den kantonalen Verwaltungsgerichten.

Die Kosten der Justiz bilden Gegenstand von zwei Beiträgen: Arnold Marti zeigt in «Die Kosten im heutigen Zivilprozess – was bleibt vom Grundsatz der wohlfeilen Rechtspflege» die wenig befriedigenden Aspekte der heutigen Praxis unter der vereinheitlichten Zivilprozessordnung auf. Beda Stähelin konzentriert sich in seiner Arbeit «Gerichtskostenvorschusspflicht und Zugang zum Recht» auf den Kostenvorschuss.

Hans-Jakob Mosimann legt drei interessante Rezensionen vor. Die erste widmet sich der Forschungsarbeit von Stephan Aerschmann «Von der Macht der Zahlen, Justizielle Wissensproduktion und Gerichtsorganisation im Kanton Luzern (19.–21. Jahrhundert)», in welcher der Autor die Rechenschaftsberichte des Obergerichts (seit 2013 Kantonsgericht) des Kantons Luzern seit 1848 untersucht. Er setzt den Fokus auf den Paradigmenwandel beim Wert von Statistiken zu Beginn des 20. Jahrhunderts und kommt zum Schluss, dass die Macht der Zahlen auch heute noch wirkt. Die zweite Rezension hat die Dissertation von Anja Martina Binder zum Thema «Expertenwissen und Verfahrensgarantien. Dargestellt an den verwaltungsgerichtlichen Verfahren auf Bundesebene» zum Gegenstand, in welcher sich die Autorin mit der Vereinbarkeit des Einbezugs von nicht-juristischem Fachwissen in der Verwaltungsgerichtsbarkeit des Bundes mit den verfassungs- und konventionsrechtlichen Verfahrensgarantien auseinandersetzt. Schliesslich rezensiert Hans-Jakob Mosimann die Neuerscheinung von Richard Devlin und Adam Dodek mit dem Titel «Regulating Judges – Beyond Independence and Accountability», in dem die Autoren die Jurisdiktionen von 19 verschiedenen Ländern untersuchen. Dass die Unabhängigkeit der Justiz als Grundwert («core value») anerkannt ist, hat das erwartete Resultat zur Folge, dass in allen betrachteten Ländern das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz wichtig ist.

Johannes Riedel untersucht in seinem Beitrag «Caseload and Weight of Cases in Special Types of Cases – First Instance Criminal Cases in Regional Courts in Germany» die Arbeitsbelastung und die Systeme, die zu ihrer Planung entwickelt und umgesetzt wurden, insbesondere am Beispiel von Kriminalfällen bei deutschen Regional-(Land-)Gerichten.

Thomas Stadelmann beschreibt die aktuelle Situation der türkischen Justiz ein Jahr nach dem Putschversuch. Die Entlassungen und Festnahmen von Richterinnen und Richtern und Staatsanwältinnen und Staatsanwälten nehmen bedauerlicherweise kein Ende. In der Rubrik «News abroad» stellt Franz Kummer das neue Informationsportal http://www.richter-im-internet.de vor, das Daten zur Zuständigkeit und Personalbesetzung des Bundesverfassungsgerichts und weiterer oberer Gerichtshöfe des Bundes seit dem Zweiten Weltkrieg frei zugänglich zur Verfügung stellt.

Das 41. Update der Bibliografie zum Richterrecht und die von der Venice Commission Observatory erstellte Auswahl internationaler Medienberichte über die weltweite Rechtsprechung von Verfassungsgerichten im Aufgabenbereich der Justiz runden die Ausgabe ab.

Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre.

Das Redaktionsteam: Stephan Gass, Hans-Jakob Mosimann, Thomas Stadelmann, Andreas Lienhard, Sonia Giamboni, Pierre Zappelli

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